2.2.8 Die Momentenmethode



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2.2.8 Die Momentenmethode

Der lokale, gewichtete Mittelwert der Momentenfunktion im Geschwindigkeitsraum wird als Moment bezeichnet [180]. Unter der Voraussetzung der Existenz einer konstanten, skalaren effektiven Masse, die ihrerseits eine isotrope, parabolische Bandstruktur voraussetzt, ist die Geschwindigkeit dem Kristallimpuls proportional (2.35). Die Momentenbildung im -Raum erfolgt mit Hilfe von Gl. (2.31) gemäß

 

und liefert einen Wert für am Ort zur Zeit . Der Nenner in Gl. (2.100) ist der Elektronenkonzentration proportional.

Die Momentenmethode stellt ein formales Verfahren dar, um aus der Boltzmann Transportgleichung Bilanzgleichungen für makroskopische Größen abzuleiten. Zu diesem Zweck wird die Boltzmanngleichung mit einer beliebigen, geschwindigkeitsabhängigen Größe multipliziert und anschließend über alle Geschwindigkeiten (bzw. im -Raum) integriert. Auf diese Weise kann die Boltzmanngleichung, die im allgemeinen Fall eine partielle Integro-Differentialgleichung im Phasenraum darstellt, in eine Serie von gekoppelten, partiellen Differentialgleichungen im Ortsraum entwickelt werden, die allerdings Unbekannte enthält. Um ein geschlossenes Gleichungssystem zu erhalten, muß die Momentenentwicklung abgebrochen und geeignete zusätzliche Annahmen gemacht werden. Im Hinblick auf die Bestimmung der Verteilungsfunktion bedeutet deswegen jedes durch die Momentenentwicklung der Boltzmanngleichung hergeleitete hydrodynamische Transportmodell einen Informationsverlust gegenüber der Boltzmanngleichung.

Das hydrodynamische Transportmodell umfaßt die ersten drei oder vier Momente der Boltzmanngleichung. Das nullte Moment liefert eine Kontinuitätsgleichung für die Ladungsträgerkonzentration. Die mittlere Teilchengeschwindigkeit tritt als Unbekannte auf. Das erste Moment liefert eine Kontinuitätsgleichung für den mittleren Impuls der Ladungsträger. Die mittlere kinetische Energie pro Ladungsträger tritt als Unbekannte auf. Das zweite Moment liefert eine Kontinuitätsgleichung für die kinetische Energiedichte, in der allerdings der Wärmefluß unbestimmt bleibt. Das erste Moment entspricht der Eulergleichung der Hydrodynamik. Entwickelt man den Drucktensor erhält man die Navier-Stokes Gleichung. Das zweite Moment entspricht dem Energiesatz der Hydrodynamik.

Multipliziert man die Boltzmanngleichung (2.74) mit und summiert über alle Zustände im -Raum ergibt sich [120], [178]:

 

Mit Hilfe der Produktregel und unter Berücksichtigung der Unabhängigkeit der Momentenfunktion von Ort und Zeit ergibt sich aus Gl. (2.101):

 

Der erste Term der rechten Seite verschwindet, weil mit schnell null wird (Gaußscher Integralsatz). Berücksichtigt man die Definition der Ladungsträgerdichte erhält man folgende allgemeine Transportgleichung für verschiedene Momente von [120], [180]:

 

Gl. (2.103) hat die Form einer Kontinuitätsgleichung. Der zweite Term enthält den korrespondierenden Fluß. Die rechte Seite besteht aus einem Generationsterm, der den Einfluß der äußeren Kraft beschreibt, und einen Rekombinationsterm, der die Wirkung der Streuprozesse enthält.

Das nullte Moment der Boltzmanngleichung folgt unmittelbar aus Gl. (2.103) für :

 

Gl. (2.104) enthält die mittlere Geschwindigkeit als Unbekannte. Das Produkt stellt die Teilchenstromdichte dar.

Das erste Moment der Boltzmanngleichung ergibt sich aus Gl. (2.103), wenn man nacheinander für die Komponenten einsetzt und anschließend alle drei Komponentenkontinuitätsgleichungen zusammenfaßt ():

 

Der erste Term der rechten Seite beschreibt die Impulsgeneration aufgrund der Beschleunigung der Ladungsträger in Richtung der äußeren Kraft. bedeutet den Impulsverlust durch Streuprozesse. Um den Tensor der mittleren kinetischen Energie pro Ladungsträger zu entwickeln, werden lokale Relativgeschwindigkeiten definiert [120], [160], [178], [180]:

 

Die Gruppengeschwindigkeit läßt sich als Summe zweier Anteile darstellen. ist die Driftgeschwindigkeit der Elektronen unter dem Einfluß äußerer Kräfte. bezeichnet die zufällige Geschwindigkeit des Ladungsträgers aufgrund der thermischen Anregung. Der größte Anteil der Teilchenbewegung ist zufällig und durch die thermische Energie des Teilchens bedingt. Mit Gl. (2.106) ergibt sich () [120]:

 

Gewöhnlich wird der letzte Summand in Gl. (2.107) zur Definition eines Temperaturtensors verwendet [120], [160], [178], [180]:

 

Gl. (2.108) stellt die kinetische Definition der Temperatur dar. Es ist zu beachten, daß der in Gl. (2.107) und (2.108) hergestellte Zusammenhang von Bandenergie und Temperatur eine parabolische Bandstruktur impliziert. Setzt man Gl. (2.107) und (2.108) in Gl. (2.105) ein, erhält man nach der Division mit :

 

Der Ausdruck kann entsprechend der Zustandsgleichung des idealen Gases als Druck des Elektronengases betrachtet werden.

Setzt man in die allgemeine Transportgleichung (2.103) ein, ergibt sich das zweite Moment der Boltzmanngleichung:

 

Die mittlere kinetische Energie pro Ladungsträger folgt aus Gl. (2.107) und (2.108):

 

Der erste Summand stellt die Feldenergie dar, der zweite die thermische Energie. Die kinetische Energie aus dem Feld erscheint kurz nach dem Anlegen hoher, externer Felder als Drift-Energie. Die Streuung produziert eine große, zufällige Komponente der Geschwindigkeit, sodaß die kinetische Energie aus dem Feld schließlich als thermische Energie auftritt [120].

Die Energieflußdichte unter dem Divergenzoperator in Gl. (2.110) kann mit Hilfe von Gl. (2.106) folgendermaßen entwickelt werden [120], [160]:

 

Daraus ergibt sich ():

 

Der letzte Summand kann als Wärmefluß interpretiert werden [120], [160]:

 

Mit der Definition des Temperaturtensors (2.108) und des Wärmeflusses (2.114) folgt aus Gl. (2.110) und Gl. (2.113):

 

Die Flußdichte der kinetischen Energie besteht aus drei Anteilen. Der erste Term bezeichnet die 'kinetische Energiedichte' eines Volumenelementes mal der Geschwindigkeit, mit der sich dieses Volumen bewegt. beschreibt den Energieverlust dieses Volumenelementes durch Wärmeleitung. Der erste Term der rechten Seite stellt die Arbeit dar, um ein Volumenelement gegen den Druck des Elektronengases mit zu bewegen. Der zweite Ausdruck bezeichnet eine Quelle kinetischer Energie aufgrund einer äußeren Kraft.

Gl. (2.104), (2.109) und (2.115) stellen drei Gleichungen für die Unbekannten , , und dar. Sowohl die Impulsbilanzgleichung (2.109) wie die Bilanzgleichung der kinetischen Energie (2.115) haben die Normalform der kontinuumsmechanischen Hydrodynamik. Der korrespondierende Fluß setzt sich jeweils aus einem Konvektions- und einem Leitungsanteil zusammen [115], [180]. Gl. (2.109), (2.115) können vereinfacht werden, wenn der Temperaturtensor näherungsweise als Skalar aufgefaßt wird (). Diese Vereinfachung impliziert die Annahme, daß die thermische Energie auch im Nichtgleichgewicht gleichmäßig auf die Freiheitsgrade verteilt ist wie im Gleichgewicht. Unter dieser Voraussetzung vereinfacht sich Gl. (2.111):

 

Um das System hydrodynamischer Gleichungen abzuschließen wird der Wärmefluß mit Hilfe der phänomenologischen Gleichung von Fourier [101], [115], [151] auf die skalare Temperatur zurückgeführt:

 

Mit und Gl. (2.117) ergibt sich:

  

Durch Subtraktion der mit bzw. gewichteten Ladungsträgerkontinuitätsgleichung (2.104) kann Gl. (2.118) bzw. (2.119) weiter vereinfacht werden:

  

, und bezeichnen die zeitliche Änderung von , und aufgrund von Streuprozessen. Übergänge infolge von Streuprozessen umfassen Interband- und Intrabandübergänge, wobei letztere ihrerseits in Intertal- und Intratalübergänge unterteilt werden. Nur Übergänge zwischen Bändern können die Teilchenkonzentration verändern. In diesem Sinn kann als die Rate der Interbandübergänge interpretiert und zur Definition einer Nettorekombinationsrate verwendet werden. Separiert man Interband- und Intrabandübergänge in und , können die Summen der beiden Streuterme der rechten Seiten von Gl. (2.120), (2.121) als Nettoraten der zeitlichen Änderung von und infolge von Intrabandübergängen erkannt werden [17], [60], [160]:

   

Gl. (2.122), (2.123), (2.124) sind Definitionen, keine Approximationen. stellt die Nettorekombinationsrate der Ladungsträger dar. Gewöhnlich werden Impuls- und Energierelaxationszeiten definiert, weil die direkte Bestimmung von , aus der allgemeinen Transportgleichung (2.103) die Kenntnis der (unbekannten) Nichtgleichgewichtsverteilungsfunktion verlangt. Allerdings erfordert auch die Bestimmung der Relaxationszeiten entweder Monte Carlo Simulationen oder Annahmen über die Form der Verteilungsfunktion [120].

Um zu der in der Bauelementesimulation üblichen Form der Bilanzgleichungen zu gelangen, müssen Gl. (2.104), (2.120), (2.121) - unter Berücksichtigung der Definitionen (2.122), (2.123), (2.124) - mit Hilfe der elektrischen Stromdichte , der elektrischen Feldstärke und der Beweglichkeit

 

umgeformt werden (zusätzlich werden die Größen , und mit dem Index dem Elektronensystem zugeordnet). Das hydrodynamische Transportmodell für Elektronen hat folgende Gestalt [60], [160]:

   

Durch weitere Vereinfachungen erhält man aus Gl. (2.126), (2.127) und (2.128) das seit den Anfängen der Bauelementesimulation verwendete Drift-Diffusionsmodell. Es wird eine einheitliche, homogene Temperatur für Ladungsträger und das Kristallgitter angenommen. Somit kann die Energiebilanzgleichung als Bestimmungsgleichung für die Elektronentemperatur vernachlässigt werden. In der Impulsbilanzgleichung können wegen der Kleinheit der Impulsrelaxationszeit die ersten zwei Terme weggelassen werden [160]. Der zweite Term der linken Seite in Gl. (2.127) stellt den Impulsstrom aufgrund der Driftgeschwindigkeit dar. Er wird oft gegenüber dem Impulstransport aufgrund thermischer Anregung schon im Ansatz (2.109) nicht mehr berücksichtigt [168]. Die Vernachlässigung des konvektiven Anteils des Impulsstromes entspricht der Vernachlässigung der Driftkomponente der kinetischen Energiedichte in Gl. (2.107).

Die stationäre Impulsbilanzgleichung stellt die Stromrelation des Drift-Diffusionsmodells dar:

 

Benutzt man die Einsteinrelation zur Definition einer Diffusionskonstante,

 

erhält man wegen der Ortsunabhängigkeit von (Annahme konstanter Temperatur) die endgültige Form der Stromrelation für das Drift-Diffusionsmodell:

 

Gl. (2.129) wird als Näherung der Impulsbilanzgleichung für das Drift-Diffusions-, für das thermoelektrische sowie für das hydrodynamische Transportmodell verwendet.

Eine Voraussetzung der Momentenmethode ist die Gültigkeit des Konzepts einer konstanten, skalaren effektiven Masse eines Ladungsträgers im periodischen Kristallgitter. Diese Bedingung setzt ihrerseits istrope, parabolische Bandstruktur voraus. Im nichtparabolischen Fall gibt es keinen einfachen analytischen Zusammenhang des Wellenvektors mit der Gruppengeschwindigkeit des Elektrons, des mittleren Impulses und der Driftgeschwindigkeit, sowie der kinetischen Energie und der Temperatur . Gl. (2.35), (2.107), (2.108), (2.116) sind nicht mehr gültig. Tatsächlich müssen und , sowie und jeweils als zwei Variablen betrachtet werden. Die Konsequenz ist die Ungültigkeit der in diesem Abschnitt hergeleiteten Impuls- und Energiebilanzgleichung.



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Martin Stiftinger
Sat Jun 10 15:00:12 MET DST 1995