2.3.4 Der Festkörper als thermodynamisches System



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2.3.4 Der Festkörper als thermodynamisches System

Die Hauptsätze der Thermodynamik implizieren jeder für sich mehrere Aussagen. Einerseits stellen sie Existenzaussagen von Zustandsvariablen (innere Energie , Entropie ) dar. Zudem wird festgestellt daß und Gibbsfunktionen sind. Andererseits repräsentieren die Hauptsätze der Thermodynamik Bilanzaussagen für die Zustandsvariablen und im Sonderfall eines adiabatisch isolierten (abgeschlossenen) Systems ().

In der Praxis werden gasförmige, flüssige oder feste Körper, die von der Umgebung abgegrenzt sind, mit der sie in Wechselwirkung stehen können, als thermodynamische Systeme behandelt [106]. Aus dem ersten und zweiten Hauptsatz ergibt sich die Gibbsrelation:

 

Daraus folgt:

 

Die Änderung der inneren Energie kann als Differential in den Zustandsvariablen des Systems angegeben werden:

 

sind extensive, die zu den energiekonjugierten intensive Variablen. In der Gibbs Fundamentalform (2.150) zeigt sich eine fundamentale Eigenschaft der Energie. Jede Änderung der Energie eines Systems ist mit der Änderung mindestens einer anderen physikalischen Größe verbunden. Nur die bei Zustandsänderungen ausgetauschte Energie - nicht die gespeicherte Energie - manifestiert sich in verschiedenen Energieformen, weil der Energieaustauch an den Austausch einer weiteren, extensiven Variablen gebunden ist. Jede von der Energie verschiedene, extensive Variable definiert eine Energieform. Die Differentiation von nach dieser extensiven Variablen liefert die zugehörige (energiekonjugierte) intensive Variable, sodaß jede Energieform durch ein Größenpaar aus intensiver und extensiver Variable gekennzeichnet ist. Die gesamte Energieänderung des Systems muß als Linearkombination verschiedener Energieformen angesehen werden.

Der erste Hauptsatz (2.139) unterscheidet Wärme und Arbeit. Ist das System thermisch, so ist nach dem zweiten Hauptsatz eine seiner Energieformen , d.h. ist eine unabhängige Variable der Gibbsfunktion . Abgesehen von Wärmereservoiren, die Energie nur in Form von Wärme abgeben und aufnehmen, tauschen thermische Systeme die Energie in mehr als einer Form aus, nämlich in Form von Wärme und Arbeit. Unter Arbeit versteht man keine bestimmte, sondern alle von Wärme verschiedenen Energieformen. Arbeit kann mechanische Spannungsenergie, chemische Energie, elektrochemische Energie, elektrische Energie, Magnetisierungsenergie, Polarisationsenergie, Oberflächenenergie, Rotationsenergie, Bewegungsenergie etc. umfassen. Das Volumen ist die extensive Variable, die mit der mechanischen Spannungsenergie verbunden ist. Auf analoge Weise kann der chemischen Energie die Teilchenmenge sowie der elektrochemischen Energie die Menge der geladenen Teilchen zugeordnet werden. Die Gibbsfunktion kann dann folgendermaßen geschrieben werden:

 

Die Anzahl der unabhängigen Energieformen ist gleich der Anzahl voneinander unabhängiger Variablen und entspricht der Anzahl der Freiheitsgrade des Systems. Definiert man nach (2.150) intensive Zustandsvariablen,

    

ergibt sich die Gibbs Fundamentalform für :

 

bezeichnet den Druck, , die chemische bzw. elektrochemische Energie. Die Ableitung der inneren Energie nach der Entropie (2.152) stellt die exakte thermodynamische Definition der absoluten Temperatur dar.

Die Festlegung, in welchen voneinander unabhängigen Energieformen ein System Energie austauschen kann, ist fundamental im Sinn der Thermodynamik. Es ist in der Praxis nicht trivial, alle unabhängigen Variablen des Systems und damit alle Formen anzugeben, in denen das System Energie austauschen kann. Es ist wichtig festzuhalten, daß sich aus der Gibbs Fundamentalform kein Erhaltungssatz folgern läßt. Gl. (2.150) und (2.156) legen mögliche Prozesse eines Systems fest, sagen aber nichts über die Realisierung der Prozesse aus.



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Martin Stiftinger
Sat Jun 10 15:00:12 MET DST 1995