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1.2 Begriff der Temperatur  

Das Verstehen des Begriffs der Temperatur ist ein wesentlicher Aspekt, um eine Interpretation physikalischer Modelle zu ermöglichen. Theoretisch wird der Begriff Temperatur in der statistischen Mechanik definiert.

Grundsätzlich gilt, daß sich ein thermisches System immer so einstellt, daß der Grad des Informationsinhaltes ein Maximum wird. Dabei beschreibt der Informationsinhalt das thermodynamische System vollständig. Betrachtet man ein ideales Gas, so liefert der Informationsinhalt alle Raum- und Impulskoordinaten der Gasatome zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das Maximum des Informationsinhaltes wird dabei als Entropie bezeichnet.

Die Temperatur ergibt sich aus der Ableitung der inneren Energie des Systems U nach der Entropie S


 \begin{eqnarray}
T := \frac{\partial U(S,V,N_1,...,N_s)}{\partial S}\; .
\end{eqnarray} (1.1)

Die innere Energie ist eine thermodynamische Potentialfunktion und enthält die Entropie als unabhängige Variable. Die innere Energie ist eine extensive Größe, das heißt, sie nimmt mit wachsender Systemgröße (z.B. Teilchenzahl) linear zu. Sie hängt neben der Entropie von den extensiven Größen Volumen V und den Teilchenzahlen N1,...,Ns ab. In den meisten Fällen betrachtet man ein System einer Teilchensorte, d.h. man beschreibt ein System der Teilchenzahl N. Wie sich die Temperatur letztlich aus der inneren Energie berechnet, hängt daher direkt von der Beschreibung der inneren Energie des Systems ab. In der Halbleitersimulation ist es üblich, den Halbleiter durch unterschiedliche Energiesysteme zu beschreiben. Dabei wird das Kristallgitter durch ein entsprechendes Energiesystem modelliert. In das System des Kristallgitters können die Energiesysteme der Ladungsträger eingebettet sein. Eine Beschreibung auf diese Weise ist nur sinnvoll, wenn sich die Systeme untereinander nicht im thermischen Gleichgewicht befinden. Gerade diese Situation ist jedoch in Halbleiterbauelementen gegeben.

Die heute üblichen Halbleitergleichungen sind kontinuierliche Gleichungen. Dies bedeutet, daß der quantenmechanische Teilchencharakter von Ladungen in den Kontinuumsmodellen vernachlässigt wird. Dies ist durchaus gerechtfertigt, sieht man von Spezialanwendungen wie z.B. Single Electron Devices ab [75], bei denen das Bauteilverhalten maßgeblich von einzelnen Ladungsträgern bestimmt wird. Wird mit Kontinuumsmodellen gerechnet, so bedeutet dies nicht, daß keine quantenmechanischen Effekte mitberücksichtigt werden können [29,66,67]. Die statistischen, quantenmechanischen Ereignisse müssen allerdings entsprechend häufig auftreten, sodaß ein zeitlicher Mittelwert angegeben werden kann. So ist bei transienter Simulation darauf zu achten, daß in einem Zeitschritt entsprechend viele quantenmechanische Ereignisse stattfinden, damit man diese dann durch ein Kontinuumsmodell beschreiben kann.

Im realen Bauteil ist das Energiesystem des Kristallgitters von den Energiesystemen der Ladungsträger mikroskopisch räumlich getrennt. Die thermische Energie der Atomrümpfe wird durch Phononenschwingungen (Schwingungen des Atomkerns) beschrieben, während die thermische Energie der Elektronen (Valenzelektronen) und Löcher (Defektelektronen) am Rand der Atomhülle auftritt. Eine Folge der Kontinuumsmodelle ist, daß die lokale, mikroskopische Begrenzung vernachlässigt wird. Die Modelle berechnen daher an einem Ort mehrere Temperaturen.

Fließen im Halbleiterbauteil geringe Ströme, so kann man in erster Näherung die Gittertemperatur gleich der Raumtemperatur setzen. Um das Temperatursystem der ,,freien`` Ladungsträger (Elektronen und Löcher) beschreiben zu können, sind Annahmen über die thermodynamische Potentialfunktion der inneren Energie zu treffen. Da Elektronen und Löcher FERMI-Teilchen mit Spin 1/2 sind, ist mit einer FERMI-DIRAC-Statistik der Teilchen zu rechnen [1]. Die in der Realität auftretende freie Ladungsträgerkonzentration ist meistens jedoch um Größenordnungen geringer als die lokale Atomdichte. Dabei liegt die Annahme zugrunde, daß mögliche Dopanden elektrisch aktiviert sind und daß Effekte wie Hochinjektion zu vernachlässigen sind. Die Wechselwirkung der freien Ladungsträger wird also in erster Näherung durch die Nachbaratome bestimmt und nicht durch Wechselwirkung mit anderen freien Ladungsträgern. Diese Näherungen rechtfertigen das Verwenden einer MAXWELL-BOLTZMANN-Verteilung für die Modellierung der inneren Energie des Ladungsträgersystems. Eine grundlegende Behandlung der statistischen Herleitung erfolgt über die Berechnung der großkanonischen Zustandssumme des idealen Gases, wie es in [1] nachgelesen werden kann. Demnach ergibt sich für die innere Energie U

 \begin{eqnarray}
U = \frac{3}{2} N \cdot k_B \cdot T\; .
\end{eqnarray} (1.2)

Die innere Energie pro Teilchen kann durch eine mittlere kinetische Energie $\langle\epsilon\rangle$ beschrieben werden

 \begin{eqnarray}
\langle\epsilon\rangle = \frac{m^{\ast}\cdot \langle v^2\rangle}{2} \equiv \frac{3}{2} k_B \cdot T\; ,
\end{eqnarray} (1.3)

wobei man diese Energie einer Temperatur gleichsetzt (siehe Kapitel 2.2). Der Vorfaktor 3/2 leitet sich aus der BOLTZMANN-Statistik des idealen Gases her. Wirkt auf die Ladungsträger ein äußeres elektrisches Feld, so verschiebt sich die Verteilungsfunktion entsprechend diesem Feld. Da nun keine MAXWELL-BOLTZMANN-Verteilung mehr vorliegt, gilt der Zusammenhang der mittleren kinetischen Energie und der Temperatur nicht mehr [39]. In der praktischen Anwendung ist diese Abweichung jedoch relativ gering, und man kann in den meisten Fällen das Temperaturäquivalent bezogen auf die mittlere kinetische Energie annehmen.

Der dritte Hauptsatz der Thermodynamik besagt, daß die Entropie eines thermodynamischen Systems im Limes $T
\rightarrow 0$ selbst gegen Null strebt. Erhöht man die Temperatur eines thermodynamischen Systems, so steigt seine Entropie ebenfalls an. Aus diesem Grund besitzt beispielsweise ein monochromatischer Elektronenstrahl eine relativ niedrige Temperatur, obwohl die einzelnen Elektronen eine hohe kinetische Energie aufweisen. Die Entropie des Strahles ist gering, da der Informationsgehalt zur vollständigen Beschreibung gering ist. Trifft dieser Strahl auf eine Festkörperoberfläche, dann wird die gerichtete kinetische Energie durch Streuprozesse in ungerichtete thermische Energie umgewandelt. Die Temperatur der gestreuten Elektronen steigt an, die gerichtete kinetische Energie nimmt im Gegensatz dazu ab.


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Martin Knaipp
1998-10-09