7.3.3 Thermisches Durchbrennen



next up previous contents
Next: 7.4 Latch-Up im IGT Up: 7.3 'Thermal Runaway' im Previous: 7.3.2 Das thermoelektrische Gleichgewicht

7.3.3 Thermisches Durchbrennen

Die thermoelektrische Wechselwirkung kann in einem geschlossenen Wirkungskreislauf eine Arbeitspunktverschiebung verursachen, die keinem stationären Zustand zustrebt, sondern ständig fortschreitet, bis die Temperaturerhöhung zu einer Zerstörung des Bauelements führt. Der Prozeß zunehmender thermischer Destabilisierung des Bauelements setzt ein, wenn die Temperaturerhöhung aufgrund der Dissipation elektrischer Energie eine Stromerhöhung bedingt, die ihrerseits durch verstärkte Wärmeverlustproduktion zu einer weiteren Temperaturerhöhung beiträgt ('thermal runaway'). Dieser Vorgang wechselseitig verstärkender Destabilisierung endet mit dem Erreichen der Schmelztemperatur von Silizium ( Grad Celsius [189]) und der Zerstörung des Bauelements (Durchbrennen).

Um 'thermal runaway' zu induzieren, werden dem Thyristor in der Simulation schlechte Kühlbedingungen auferlegt. Zu diesem Zweck wird für die Wärmeübergangszahl der Wert gewählt.

  
Abbildung 7.11: Zeitliche Entwicklung der maximalen und minimalen Thyristortemperatur, (=, =)

Aus Abb. 7.11 ist zu ersehen, daß sich der Temperaturanstieg nach wenigen Millisekunden zunächst verflacht. Der Thyristor scheint sich einem stabilen stationären Zustand zu nähern. Nach 6 Millisekunden beginnt die Temperaturkurve schließlich steil nach oben zu knicken. Die maximale Thyristortemperatur steigt innerhalb von Millisekunden exponentiell um nahezu Kelvin. Die weitere Temperaturerhöhung bis zum Erreichen der Schmelztemperatur erfolgt auf der Zeitskala der Selbsterwärmung in Abb. 7.11 (Millisekundenbereich) quasi instantan. Das qualitativ gleiche Verhalten läßt sich beobachten, wenn das heuristische Wärmetransportmodell verwendet wird. Allerdings setzt der exponentielle Temperaturanstieg um zirka Millisekunden später ein. Dieser zeitliche Unterschied bietet sich zur experimentellen Verifikation des thermodynamischen thermoelektrischen Transportmodells an.

  
Abbildung 7.12: Zeitliche Entwicklung des Anodenstromes im Fall des thermischen Durchbrennens, (=, =)

Der Vorgang der thermoelektrischen Destabilisierung des vorwärtsleitenden Thyristors läßt sich - seitens des elektrischen Teilsystems - anhand der zeitlichen Entwicklung des Anodenstroms verfolgen. Anhand von Abb. 7.12 können im zeitlichen Anodenstromverhalten drei Phasen unterschieden werden. Zu Beginn steigt der Anodenstrom kurzzeitig an, weil im Randbereich der -Basis etwas mehr Ladungsträger generiert werden, die zur Anode und zum Emitter abfließen. Dieser Effekt ist als zweidimensionales Phänomen zu betrachten. Die Abnahme der Ladungsträgerbeweglichkeit mit zunehmender Temperatur führt in der zweiten Phase bis etwa Millisekunden zu einer Abnahme des Anodenstromes. Die Temperaturabhängigkeit der Beweglichkeit begrenzt den Anodenstrom. Sie wirkt stabilisierend auf das elektrische Verhalten des sich erwärmenden Thyristors. Schließlich wird der Beweglichkeitseffekt durch die thermische Generation von Ladungsträgern überkompensiert. Die elektrische Leitfähigkeit nimmt temperaturbedingt wieder zu, weil mehr Ladungsträger zum Stromtransport zur Verfügung stehen. Zuletzt bewirkt die exponentielle Abhängigkeit der intrinsischen Ladungsträgerkonzentration von der Temperatur einen exponentiellen Anstieg des Anodenstromes. Mit ihm steigt die im Thyristor produzierte Joulewärme, die dem Quadrat der Stromdichte proportional ist. Die Wärmeabfuhr ist jedoch nicht im selben Maß steigerbar. Sie ist dem Temperaturunterschied zur Wärmesenke proportional. Das Mißverhältnis der Zunahme der dissipierten Energie mit der Temperatur zur Zunahme der Wärmemenge, die zu den Wärmesenken abgeführt werden kann, bedingt einen Zustand thermoelektrischer Instabilität.

  
Abbildung 7.13: Thermische Ladungsträgergeneration [] nach Sekunden im Fall des thermischen Durchbrennens, ( = , = )

  
Abbildung 7.14: Thermische Ladungsträgergeneration [] nach Sekunden im Fall des thermischen Durchbrennens, ( = , = )

Der Thyristor beginnt durchzubrennen, wenn er aufgrund der Temperaturerhöhung intrinsisch leitend wird. Abb. 7.13 zeigt den Logarithmus der thermischen Ladungsträgergeneration nach 7.45 Millisekunden, Abb. 7.14 nach 7.60 Millisekunden. In Abb. 7.13ist die thermische Generation von Ladungsträgern nicht mehr auf ein kleines Gebiet der -Basis in der Nähe des Gatekontakts beschränkt. Sie hat bereits einen beträchtlichen Teil der angrenzenden -Basis erfaßt. Aber erst nach 7.60 Millisekunden werden in der gesamten Breite der -Basis des Thyristors Elektronen und Löcher generiert. Erst ab diesem Zeitpunkt wird der gesamte Mittelbereich des Thyristors intrinsisch leitend. Die starke, temperaturbedingte Ladungsträgerproduktion durch thermische Generation reicht für den exponentiellen Strom- und Temperaturanstieg aus.

  
Abbildung 7.15: Joulewärme [] nach Sekunden ('thermal runaway', =, =)

Abb. 7.15-7.18 zeigen die einzelnen Beiträge zur Wärmegeneration. Die Simulationszeit beträgt 5 Millisekunden. In Abb. 7.15 ist der Logarithmus der Joulewärme zu sehen. Im Emitter ist infolge der Stromeinschnürung eine erhöhte Joulewärmeproduktion festzustellen. Die nichtplanare Bauelementgeometrie zwischen Emitter- und Gatekontakt stellt eine Störung von Feld und Stromfluß dar. Infolge von Feldspitze und Stromeinschnürung ergibt sich ein auffälliges Maximum der Joulewärmeproduktion. Insgesamt liefern die Joulschen Wärmeverluste den größten Beitrag zu den Gesamtverlusten. Die Thomsonwärme in Abb. 7.16 liefert nur in den hochdotierten Randgebieten signifikante Beiträge. Der Grund dafür ist in der Tatsache zu sehen, daß die thermoelektrische Kraft beim Übergang zum hochdotierten Emitter- und Anodengebiet besonders große Gradienten aufweist.

  
Abbildung 7.16: Thomsonwärme [] nach Sekunden ('thermal runaway', =, =)

  
Abbildung 7.17: Rekombinationswärme [] nach Sekunden ('thermal runaway', = , = )

  
Abbildung 7.18: Ladungsträgerquellwärme [] nach Sekunden, ('thermal runaway', = , = )

Während Joule- und Thomsonwärme Funktionen der elektrischen Stromdichten darstellen, hängen Rekombinationswärme und Ladungsträgerquellwärme vom lokalen Zuwachs der Trägerkonzentrationen ab. Aufgrund der Hochinjektionsverhältnisse ist die Rekombinationswärme im gesamten stromführenden Bereich des Thyristors ausgeprägt. Aus Abb. 7.17 ist ersichtlich, daß die Rekombinationswärme besonders im Emitter, aber auch im Anodenbereich ein Maximum hat. Diese Beiträge werden durch starke Injektion von Ladungsträgern verursacht, die mit den Majoritätsträgern rekombinieren. Abb. 7.18 zeigt den Logarithmus der Ladungsträgerquellwärme. Auch sie zeigt in den Thyristorrandbereichen Maxima, einerseits deswegen, weil die effektive thermoelektrische Kraft (Soretfaktor) dort höhere Werte annimmt als in den Mittelgebieten, andererseits aus dem Grund, daß die Divergenz der Teilchenstromdichten unter quasistationären Bedingungen der Rekombinationsrate gleichzusetzen ist. Thomsonwärme und Ladungsträgerquellwärme sind direkt der lokalen Temperatur proportional. Ihr Beitrag zur gesamten Wärmeproduktion nimmt deshalb mit steigender Temperatur zu. Zusammen mit der Joule- und Rekombinationswärme, die eine gegenüber dem heuristischen Modell erweiterte Form haben, verstärken Thomson- und Ladungsträgerquellwärme den Selbsterwärmungsvorgang, verglichen mit konventionellen Modellen der Dissipation im Halbleiter.

  
Abbildung 7.19: Elektronenkonzentration [] entlang eines Schnitts in der Emittermitte nach und ('thermal runaway')

  
Abbildung 7.20: Löcherkonzentration [] entlang eines Schnitts in der Emittermitte nach und ('thermal runaway')

  
Abbildung 7.21: Potential [] entlang eines Schnitts in der Emittermitte nach und ('thermal runaway')

  
Abbildung 7.22: Temperaturzunahme [] entlang eines Schnitts in der Emittermitte nach und ('thermal runaway')

Um die Veränderungen der abhängigen Variablen , , und im Inneren des Thyristors bei zunehmender Erwärmung sichtbar zu machen, wird in der Mitte des Emitters ein Schnitt durch den Thyristor gelegt. In Abb. 7.19-7.22 ist die zeitliche Entwicklung der Elektronen- und Löcherkonzentrationen, des elektrostatischen Potentials sowie der Temperaturerhöhung zu sehen. Abb. 7.19, 7.20 und 7.22 sind von unten nach oben zu betrachten. Je mehr Zeit vergeht, desto heißer wird der Thyristor (Abb. 7.22). Abb. 7.19 und 7.20 zeigen, daß das Dotierungsprofil mit zunehmender Temperatur seinen Einfluß auf die Majoritätsträgerkonzentration und damit auf das Bauelementeverhalten völlig verliert. Lediglich die Elektronenkonzentration im hochdotierten Emitter wird bis zuletzt von der Dotierung bestimmt. Der Rest des Thyristors ist von Elektronen und Löchern überflutet, die thermisch generiert werden. Beachtenswert ist die hohe Minoritätsträgerkonzentration in den hochdotierten Randgebieten. Bei Thyristortemperaturen um sind beide Basisgebiete sowie das Anodengebiet vom quasineutralen Elektron-Lochplasma überflutet. Raumladungen sind nahezu verschwunden. Unter diesen Umständen reduziert sich die Poissongleichung auf die Laplacegleichung. Abb. 7.21 zeigt, wie das Potential linear zwischen Anode und Emitter abfällt. Der GTO-Thyristor verhält sich wie ein ohmscher Widerstand, der unter der anliegenden Gleichspannung infolge der thermischen Leitfähigkeitsmodulation zunehmend in den Kurzschluß gerät. In Abb. 7.19-7.21 ist zu beachten, daß sich die Randbedingungen des elektrostatischen Potentials und der Ladungsträgerkonzentrationen an idealen ohmschen Kontakten infolge der zeitlichen Temperaturerhöhung ändern. Der Grund dafür ist die starke Temperaturabhängigkeit der intrinsischen Ladungsträgerkonzentration, die sowohl das eingebaute Potential als auch die Geichgewichtskonzentration der Elektronen und Löcher am ohmschen Kontakt bestimmt.

Die Temperaturverteilungen in Abb. 7.22 sind fast homogen. Der Temperaturabfall erfolgt fast zur Gänze außerhalb des Bauelements. Der Einfluß der Temperaturgradienten in den Stromrelationen (3.89), (3.90) ist deshalb klein. Erst bei sehr hohen Temperaturen verschlechtert sich die Wärmeleitfähigkeit von Silizium signifikant. Somit ergeben sich in hohen Temperaturbereichen innerhalb des Bauelements wieder steilere Temperaturprofile.

Insgesamt zeigt sich, daß 'thermal runaway' - einmal durch schlechte Kühlbedingungen induziert - von der starken Temperaturabhängigkeit der intrinsischen Ladungsträgerkonzentration bestimmt ist. Die intrinsische Ladungsträgerkonzentration folgt der Temperaturerhöhung instantan. Sie stellt sich neben der Beweglichkeit als der kritischste temperaturabhängige physikalische Parameter heraus.


next up previous contents
Next: 7.4 Latch-Up im IGT Up: 7.3 'Thermal Runaway' im Previous: 7.3.2 Das thermoelektrische Gleichgewicht



Martin Stiftinger
Sat Jun 10 15:00:12 MET DST 1995