5 Eine Energietransportmodellhierarchie



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5 Eine Energietransportmodellhierarchie

Die transporttheoretischen Ergebnisse der letzten drei Kapitel lassen sich in Form einer Energietransportmodellhierarchie zusammenfassen. Zur Darstellung der Modellhierarchie wird eine mathematische Formulierung gewählt, die unabhängig von der Wahl der Ladungsträgerstatistik und spezifischer Festlegungen physikalischer Parameter ist. Auf diese Weise ergibt sich ein formaler Rahmen für ein einheitliches Energietransportmodell mit gekoppelten Phononen- und Ladungsträgertemperaturen. Durch zusätzliche Annahmen und Festlegungen lassen sich verschiedene Gleichungssysteme herleiten.

Im komplexesten Fall wird der gekoppelte Transport von Ladungsträgern und Energie im Halbleiter durch ein System von sechs gekoppelten, nichtlinearen, partiellen Differentialgleichungen für das elektrostatische Potential , die Elektronenkonzentration , die Löcherkonzentration sowie für die Elektronentemperatur , die Löchertemperatur und die Gittertemperatur beschrieben. Das System der Bestimmungsgleichungen genügt den Prinzipien der irreversiblen Thermodynamik. Es stellt ein thermoelektrisches Transportmodell der den Halbleiter konstituierenden Teilsysteme dar.

Die Thermoelektrizität der Teilsysteme beruht auf Gesamtenergiebilanzgleichungen des Elektronen-, des Löcher und des Phononensystems. Die Systematik der Wechselwirkung der Teilsysteme ergibt sich mit Hilfe der Gibbs Fundamentalform nach Prinzipien der irreversiblen Thermodynamik. Im Unterschied dazu stellt die hydrodynamische Energiebilanzgleichung, die das zweite Moment der Boltzmanngleichung für einen bestimmten Ladungsträgertyp darstellt, eine Bilanzgleichung lediglich der kinetischen Energie des betrachteten Ensembletyps dar. Die Methode der Momentenentwicklung der Boltzmanngleichung stellt kein Verfahren zur Verfügung, um die Kopplung hydrodynamischer Energiebilanzgleichungen herzuleiten. Wie im vorigen Kapitel gezeigt worden ist, kann prinzipiell auch zu diesem Zweck die Gibbs Fundamentalform benutzt werden.

   

   

Das Gleichungssystem (5.1), (5.2), (5.3), (5.4), (5.5), (5.6) erlaubt die gleichzeitige, selbstkonsistente Bestimmung der Gitter- und Ladungsträgertemperaturen zusätzlich zum elektrostatischen Potential und den Ladungsträgerkonzentrationen. Es besteht aus der Poissongleichung (5.1), den Ladungsträgerkontinuitätsgleichungen (5.2), (5.3), Gesamtenergiebilanzgleichungen für Elektronen (5.4) und Löcher (5.5) sowie einer Wärmeflußgleichung für das Kristallgittersystem (5.6). Dieses einheitliche Modell des gekoppelten Phononen- und Ladungsträgerenergietransports ermöglicht eine konsistente Beschreibung des Energieaustauschs von Gitter- und Trägersystemen. Wechselwirkungen und Kopplungen von Nichtgleichgewichtseffekten der Trägersysteme aufgrund von Ladungsträgererwärmung mit Selbsterwärmungseffekten des Kristallgitters können erfaßt werden.

Wenn eine einheitliche, homogene Gittertemperatur vorausgesetzt wird, kann Gl. (5.6) vernachlässigt werden. Diese Annahme impliziert, daß sich das Phononensystem wie eine ideale Wärmesenke mit unendlicher Wärmekapazität und Wärmeleitfähigkeit verhält. Das reduzierte Gleichungssystem stellt ein hydrodynamisches Transportmodell dar. Im Gegensatz zu [38], [156] enthalten die Bilanzgleichungen der Ladungsträgerenergie gemäß den Grundsätzen einer Thermoelektrizität der Teilsysteme auch die potentielle Energie der Elektronen bzw. Löcher. Wird umgekehrt angenommen, daß Elektronen, Löcher und Phononen miteinander im thermischen Gleichgewicht sind, existiert eine einheitliche Temperatur , die jedoch im allgemeinen Fall nicht uniform ist. Dieser Grenzfall liefert das thermoelektrische Transportmodell, das zur Beschreibung von Selbsterwärmungseffekten geeignet ist. Eine einheitliche Temperatur der Ladungsträger und Phononen erlaubt die Energiebilanzgleichungen (5.4), (5.5) und (5.6) zusammenzufassen. Es ergibt sich folgendes, reduziertes Gleichungssystem:

   

 

Nimmt man außerdem an, daß die für Ladungsträger und Kristallgitter einheitliche Temperatur im gesamten Halbleiter konstant ist, erhält man das Drift-Diffusionsmodell für isothermischen Ladungsträgertransport:

   

Die Auswertung der Gl. (5.2), (5.3), (5.4), (5.5) und (5.6) erfordert die Kenntnis der Abhängigkeit der Quasifermipotentiale , von den jeweiligen Trägertemperaturen , . Die Ladungsträgerstatistik ist nicht nur eine Funktion des bandspezifischen Quasifermipotentials sondern auch der teilchensystemspezifischen Temperatur. Gl. (2.57), (2.58) bzw. (2.68), (2.69) können benutzt werden, wenn die jeweilige Trägertemperatur eingesetzt wird:

  

Die Bedingung der Gleichheit der Elektronen- und Löcherkonzentration im intrinsischen Halbleiter bleibt gültig. Diese Forderung ergibt:

 

Gl. (5.16) stellt eine Kopplungsbedingung der Trägertemperaturen dar.

Zur Modellierung der Wärmeleitfähigkeit der Elektronen und Löcher kann das Wiedemann-Franz'sche Gesetz verwendet werden. Gl. (2.99) und Gl. (3.28) bzw. (3.29) ergeben:

 

Nach Gl. (5.17) kann die Wärmeleitfähigkeit der Ladungsträger auf die elektrische Leitfähigkeit zurückgeführt werden. Die Lorenzzahl ist im nichtentarteten Halbleiter gemäß Gl. (3.155) eine Funktion des vom dominierenden Streumechanismus abhängigen numerischen Parameter . Werte für im entarteten Halbleiter sind z.B. in [153] zu finden.

Das einfachste Modell der Wärmekapazitäten der Ladungsträger folgt aus der Annahme, daß das Elektronen- bzw. Löcherensemble ein ideales Gas darstellt. Nach Gl. (4.65) gilt:

 

Der Energietransfer zwischen den Teilsystemen infolge von Streuprozessen wird in Gl. (5.4), (5.5), (5.6) durch und dargestellt. Wie in Gl. (2.124) können Energierelaxationszeiten definiert werden:

 

In Gl. (5.19) steckt wie in Gl. (5.18) die Voraussetzung der Vernachlässigbarkeit der Driftenergie gegenüber der thermischen Energie des Ladungsträgergases (siehe Gl. (2.116)).



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Martin Stiftinger
Sat Jun 10 15:00:12 MET DST 1995