2.1.1 Ableitung der Boltzmanngleichung



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2.1.1 Ableitung der Boltzmanngleichung

Ein kinetisches System besteht aus Teilchen in einem fest definierten Volumen , dessen physikalischen Eigenschaften sich zeitlich ändern und untersucht werden sollen. Diese Partikel erfahren aber Zusammenstöße und unterliegen dem Einfluß äußerer Kräfte, wobei eine Änderung des Teilchenzustands hervorgerufen wird. Die Energie, die aufgrund von Wechselwirkungen ausgetauscht werden kann, sei jedoch gering. Eine weitere Forderung besteht darin, daß die Wellenpakete der untersuchten Teilchen lokalisiert sein müssen, daß also deren Ausdehnung kleiner als der mittlere Teilchenabstand ist. Die de-Broglie-Wellenlänge muß also folgende Ungleichung

erfüllen, da sonst nur eine ausschließlich quantenmechanische Betrachtung möglich ist. Man betrachtet also Teilchen bei hohen Temperaturen oder niedriger Teilchenzahl . Dabei stellt das reduzierte Planck'sche Wirkungsquantum, die Masse des Teilchens und die Boltzmannkonstante dar. Damit kann allen Teilchen sowohl ein Ort als auch ein Impuls und somit eine Geschwindigkeit hinreichend genau zugeordnet werden, und Ort und Impuls können unabhängig voneinander betrachtet werden. Wenn diese Forderung erfüllt ist, dann wird, kann ein System mit den klassischen Gesetzmäßigkeiten analysiert werden. Des weiteren wird ein System untersucht, bei dem nur eine einzige Teilchenart betrachtet werden muß, um die mathematische Ableitung möglichst einfach beschreiben zu können.

Die makroskopischen Eigenschaften eines physikalischen Systems werden bestimmt, indem man die Bewegung aller Teilchen verfolgt. Dies ist jedoch praktisch nicht möglich, da dabei die Bewegungsgleichung für jedes einzelne Teilchen berechnet werden muß und zusätzlich noch die Anfangsbedingungen für jedes einzelne Teilchen bekannt sein müssen. Man ist daher gezwungen, statistische Methoden zur Beschreibung des zeitlichen Verhaltens eines makroskopischen Systems zu gebrauchen. Statt der Bewegung eines einzelnen Partikels verfolgt man nun das zeitliche Verhalten der Verteilungsfunktion in Abhängigkeit des Orts , der Geschwindigkeit und der Zeit , die im sechsdimensionalen Volumenelement die mittlere Anzahl der Teilchen

angibt. Diese mittlere Anzahl an Teilchen ist nun als Integral der Teilchendichte über das räumliche Volumen und die Geschwindigkeit definiert,

Eine orts- und zeitabhängige Teilchendichte erhält man durch Mittelung über die Geschwindigkeit,

Man kann den Mittelwert einer beliebigen physikalischen Größe bei Kenntnis der Verteilungsfunktion mittels Integration über die Geschwindigkeit berechnen,

Mit derartigen Mittelwerten kann also auch ein System, das sich nicht im Gleichgewichtszustand befindet, beschrieben werden, vorausgesetzt, daß die Verteilungsfunktion bekannt ist.

Um die Verteilungsfunktion zu bestimmen, sollen vorderhand keine Kollisionen der Teilchen berücksichtigt werden. Dann wird sich die Lage dieser Funktion nach einem Zeitschritt um

 

ändern, wobei eine geschwindigkeitsunabhängige äußere Kraft darstellt. Unter der getroffenen Annahme, daß keine Stöße stattfinden, werden sich alle Teilchen, die sich zur Zeit im Phasenraum innerhalb befinden, zum Zeitpunkt im sechsdimensionalen Volumen anzutreffen sein. Dieser Sachverhalt kann mathematisch folgendermaßen

ausgedrückt werden. Das Volumenelement kann als Funktionaldeterminante

geschrieben werden, wenn die Koordinatentransformation von Gleichung 2.6 verwendet wird. Die Auswertung der Funktionaldeterminante ergibt, daß diese einschließlich der Glieder erster Ordnung in gleich eins ist,

Nach einem Zeitschritt ist also die Verteilungsfunktion unverändert,

 

Treten aber noch zusätzlich Stöße auf, dann kommen nicht alle Teilchen, die zum Zeitpunkt t im Phasenraum enthalten sind, in das zeitlich weiterbewegte Volumen , sondern werden durch Kollisionen in andere Phasenvolumenelemente gestreut, beziehungsweise können Teilchen durch Streuprozesse in dem neuen, zeitlich veränderten infinitesimalen Element enthalten sein. Dieser Sachverhalt ist in Abbildung 2.1 dargestellt. Um diese damit hervorgerufene Partikelschwankung zu berücksichtigen, wird ein sogenannter Stoßterm

definiert. Nun entwickelt man die linke Seite dieser Gleichung nach , wobei anschließend gegen Null streben soll. Die daraus resultierende Gleichung stellt die Bewegungsgleichung für die Verteilungsfunktion dar, wenn der Stoßterm explizit angegeben wird. Diese Gleichung wird als Boltzmanngleichung bezeichnet

und findet in der Transporttheorie vielfach Anwendung. Die Operatoren und stellen den Gradienten in bezug auf den Ort beziehungsweise nach der Geschwindigkeit dar.

Um auch eine semiklassische Näherung der Quantenmechanik miteinzubeziehen, wird der klassische Impuls durch den Kristallimpuls zu ersetzt. Der Wellenvektor des Kristallimpulses wird nun als

geschrieben. Man erhält dann die Boltzmanngleichung in Abhängigkeit des Wellenvektors,

 

Dies ist nun diejenige Form, die zur Charakterisierung von Nichtgleichgewichtsprozessen der Festkörperphysik herangezogen wird [17].

Der sogenannte Streuterm wird unter Berücksichtigung der quantenmechanischen, differentiellen Streuwahrscheinlichkeit als

 

geschrieben. Die Streuwahrscheinlichkeit kann so interpretiert werden, daß ein Teilchen mit Zustand nach gestreut wird. Der Streuterm dagegen wird als Differenz zwischen eintretenden und austretenden Teilchen im Impulsvolumenelement aufgefaßt. Die Annahme betreffs dieses Streuterms beinhaltet nur Zweierstöße. Da in einem Halbleiter Kollisionen dreier oder mehrerer Partikelgif eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit aufweisen, erscheint diese Näherung gerechtfertigt. Eine weitere Vereinfachung des Stoßterm ergibt sich unter der Annahme, daß sich die Fermikante weder in der Nähe noch überhalb des Leitungsbandes befindet und nur schwache Konzentrationen der betrachteten Teilchenart vorliegen. Dies ist bei schwacher bis mittlerer Dotierung zulässig. Damit kann auch das Pauliverbot,

das eine doppelte Besetzung eines Elektronenzustands nicht zuläßt, vernachlässigt werden, und man kann den Stoßterm linear in der Verteilungsfunktion

anschreiben. Die totale Streurate ist nun folgendermaßen

 

definiert. Das Pauliprinzip wird nur bei stark entarteten Halbleitermaterialien berücksichtigt, die fast schon metallische Eigenschaften aufweisen.



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Martin Stiftinger
Mon Aug 7 18:44:55 MET DST 1995